Pflegeeinstufung abgelehnt – was können Sie tun?

30 % aller Antragsteller für eine Pflegeeinstufung erhalten nicht die Leistungen, die ihnen rechtlich zustehen. Ich zeige Ihnen, warum ein gut begründeter Widerspruch mehr Aussicht auf Erfolg hat und welche Schritte dafür notwendig sind.

Rund 5 Millionen Menschen in Deutschland sind derzeit pflegebedürftig. Das „Pflegestärkungsgesetz“ erweiterte 2017 den Kreis der Berechtigten. Menschen mit Demenz bekommen nun den gleichen Zugang zu Leistungen der Pflegeversicherung, da ihre Beeinträchtigungen jetzt stärker berücksichtigt werden.

Dennoch erhalten ungefähr 30 % aller Antragsteller nicht die Leistungen, die ihnen rechtlich zustehen würden. Besonders schwer ist dies für Betroffene, die erstmalig eine Pflegeeinstufung beantragt haben und auf finanzielle Unterstützung hofften. Sie müssen diesen Bescheid jedoch nicht einfach hinnehmen und können einen Widerspruch einlegen.

Das dürfen auch Antragsteller, bei denen der Antrag auf Höherstufung abgelehnt wurde. 2017 waren Widersprüche in jedem zweiten Fall erfolgreich!  Ich informiere Sie in diesem Beitrag über die einzelnen Schritte eines Widerspruchs.

Hinweis: Hervorgehobene Begriffe führen Sie direkt zu näheren Informationen auf den entsprechenden Webseiten.

Pflegeeinstufung abgelehnt – was Sie jetzt tun sollten.


1. Bewahren Sie erst einmal Ruhe.

Obwohl schnell gehandelt werden muss, sollten Sie sich  dennoch die notwendige Zeit nehmen, um die Entscheidung der Pflegekasse nachzuvollziehen.


2. Legen Sie einen Widerspruch ein

bei Ihrer Pflegekasse. Innerhalb von vier Wochen mit genauer Begründung – am besten per Einschreiben mit Rückschein.

Falls Sie das voraussichtlich nicht in dieser Frist schaffen können, reicht ein kurzer Widerspruch mit folgendem Inhalt:

Sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit lege ich Widerspruch gegen Ihren Bescheid vom …. ein. Eine Begründung reiche ich zeitnah nach. Gleichzeitig bitte ich um Übersendung des MDK Gutachtens (falls dies nicht schon dem Bescheid beigelegt war.)

Mit freundlichen Grüßen

Unterschrift und Datumsangabe

Damit bleiben Sie in der Frist für einen Widerspruch. Sie haben jedoch mehr Zeit für eine sorgfältige Begründung. Berechtigt zum Widerspruch sind nur der Betroffene oder ein Bevollmächtigter bzw. der gesetzliche Betreuer und die Pflegeperson( im häuslichen Bereich).

3. Begründen Sie den Widerspruch ausführlich


Das Pflegegutachten (auf das Sie einen rechtlichen Anspruch haben) ist die Basis Ihres Widerspruchs. Gehen Sie das Gutachten sorgfältig durch und widersprechen Sie bei den Punkten, die Ihrer Meinung nach falsch oder nicht ausreichend bewertet wurden.

Seit Januar 2017 wird der Grad der Selbständigkeit des Antragstellers anhand von 64 Fragen in sechs Bereichen beurteilt und mit Punkten bewertet. Der Gutachter des MDK trifft bei seinem Besuch eine Einschätzung bezüglich dieser Fragen.

Falls Sie noch kein Pflegetagebuch geführt haben, in dem die erforderlichen Hilfestellungen täglich notiert werden können, sollten Sie jetzt damit anfangen. Dies kann man bei vielen Krankenversicherungen kostenfrei anfordern. Vergleichen Sie  dann Ihre Notizen mit den Angaben des Gutachters.

Wichtige Punkte bei der Einstufung:

  • Stimmen alle zeitlichen Angaben zu den einzelnen Verrichtungen (d.h. wie lange dauert das Waschen, Anziehen etc.)?

  • Berücksichtigte der Gutachter alle erforderlichen Hilfen?

  • Gibt es – besonders bei Demenzerkrankten –  eine eingeschränkte Alltagskompetenz?

  • Erkannte der Gutachter die vorliegenden Erschwernisse bei der Pflege?

  • Lagen Medikamentenplan, Arzt- und Krankenhausberichte u.ä. an diesem Termin vollständig vor und stehen sie auch so in der Begutachtung?

  • War der Betroffene am MDK Termin außergewöhnlich fit und selbständig und spiegelte deshalb nicht die tatsächliche Realität wider?

Fragen Sie Pflegeberater oder Mitarbeiter von Pflegestützpunkten um Hilfe. Eine umfassende Beratung und Begleitung während des Beurteilungsprozesses erhalten Sie auch von staatlich geprüften Rentenberatern – Teilgebiet Pflegeversicherung. Erkundigen Sie sich aber vorher nach dem Honorar für diese Beratung.

Eine gute fachliche Begründung ist die Grundlage für einen erfolgreichen Widerspruch.

Persönliche oder emotionale Formulierungen sind in diesem Fall wenig hilfreich.

4. Wie geht es nach dem Widerspruch weiter?

Nach der Prüfung des Widerspruchs entscheidet die Pflegekasse entweder nach Aktenlage oder es wird ein Termin für eine neue Begutachtung angesetzt. Dabei sollte auch unbedingt die Pflegeperson anwesend sein. Eventuell wird auch die Führung eines Pflegetagebuch erbeten (Mitwirkungspflicht des Versicherten). Achten Sie auf korrektes Ausfüllen, sonst führt dies eventuell zu einer erneuten Ablehnung.

Fordern Sie Entlassungsberichte und Atteste von Kliniken und Ärzten an, die bei der ersten Begutachtung noch nicht vorlagen.

Auf diese sogenannte „Widerspruchsbegutachtung“ sollten Sie sich sehr sorgfältig vorbereiten!

Der Medizinische Dienst der Krankenkasse (MDK) begutachtet eine eventuell neue Sachlage oder prüft Unstimmigkeiten im ersten Gutachten. Dabei handelt es sich natürlich nicht um den Gutachter, der bei der ersten Prüfung zuständig gewesen ist.

Im idealen Fall erhalten Sie anschließend einen neuen Bescheid mit der Bewilligung Ihrer gewünschten Leistungen.

 

Widerspruchsausschuss und Sozialgericht

Bei erneuter Ablehnung haben Sie die nun  Möglichkeit, Ihr Anliegen dem Widerspruchsausschuss der Pflegeversicherung nochmals vorzutragen. In dem Ausschuss sitzen Vertreter von Pflegekassen und Versicherten und Gewerkschafter. Bestätigt der Ausschuss das Urteil des MDK, bleibt Ihnen nur noch eine Klage beim Sozialgericht.

Innerhalb von vier Wochen können Sie dort eine kostenlose Klage einreichen. Die Vertretung durch einen Anwalt oder eines Pflegesachverständigen ist zwar nicht verpflichtend, kann jedoch durchaus Sinn machen. Mitglieder des VdK lassen sich am besten von den Anwälten des Vereins vertreten. Ist die Klage erfolgreich, erhalten Sie die gewünschten Leistungen – rückwirkend zum Tag der Antragstellung.


Viele Versicherte scheuen den Aufwand eines Widerspruchs und geben schon im Vorfeld auf. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass über die Hälfte der MDK Gutachten den Grad der Selbständigkeit nicht korrekt abbilden. Wenn Sie deshalb gute Argumente für einen Widerspruch haben, legen Sie diesen ein!
Eine Pflegebedürftigkeit kann über viele Jahre gehen – jede zusätzliche Hilfe sollte deshalb in Anspruch genommen werden.

 

 
Weitere Informationen zu Fragen der Pflegeversicherung erhalten sie u.a.

»beim Bürgertelefon des Bundesministeriums für Gesundheit unter der

Tel. 030 /340 60 66-02

oder bei den Pflegestützpunkten oder Pflegeberatungen in Ihrer Kommune.

 

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